- sigizitzart
Wohnen in Japan
Aktualisiert: 22. Mai 2021
(aus der Alienperspektive)
In den letzten Wochen sind A. (mein Partner) und ich umgezogen, daher war es hier etwas ruhiger. Wir wohnen in einer Gegend, die ich als Wohnsiedlung bezeichnen würde. Die Anbindung ist praktisch und wir leben ca. 30 Minuten mit der Bahn von Tokio entfernt. Letzteres- also die Anbindung- ist hier bei der Wohnungssuche ein entscheidendes Kriterium und bestimmt den Preis der Miete maßgeblich mit.
Entgegen meiner Erwartungen in einer Art Schuhkarton zu leben, da Japan laut Medien keinen Platz hat (mag in den großen Städten auch so sein), wurde ich hier positiv überrascht.
Das, was wir in den Nachrichten und Dokumentationen über Japan erfahren, ist wirklich nur ein minimaler Bruchteil dessen, wie es in Japan wirklich ist. Es ist niemals repräsentativ für das ganze Land. Das stelle ich hier immer wieder fest. Das ist klar und es sollte mich nicht wundern. Trotzdem erlebe ich immer wieder den Überraschungseffekt.
Aber zurück zu meinem heutigen Thema: Wohnen in Japan- basierend auf eigenen Erfahrungen und Berichten anderer.
Wir hatten uns natürlich im Vorfeld ein paar Wohnungen angeschaut. Dabei ist mir aufgefallen, dass die von uns begutachteten Wohnungen alle gleich „geschnitten“ waren.
Einer der Werte innerhalb der japanischen Kultur, ist die Bescheidenheit.
In diesem Rahmen gibt es auch eine Art ungeschriebenes Gesetz, das ich ungefähr so übersetzen würde: man sollte nicht herausstechen aus der Masse. Man zeigt das von sich, was andere von sich zeigen. Nicht mehr. Man verhält sich eher so, wie es andere tun. Würde ich also hier in Kashiwa oder in Tokyo in einer Wahnsinns-Villa leben, im Vergleich zu den anderen ziemlich gleich geschnittenen Wohnungen, dann käme das nicht gut in meinem Umfeld an. Diese Geschichte habe ich letztens gehört. Es ging dabei um eine Frau, die sich ein großes Haus in Tokyo leisten konnte. Das wurde aber vor den Kollegen verheimlicht, weil es als unangemessen gesehen würde. Man könnte jetzt sagen: ist doch egal, was andere denken. Genau das ist es aber hier nicht. Dazu werde ich aber ein anderes mal berichten
Darf ich vorstellen? Yuji unser Mitbewohner
Mein Mann und ich wohnen in einer kleinen Haushälfte, die aber anders aussieht, als die Häuser in Deutschland. Sie sieht letztlich von innen aus, wie die anderen Wohnungen, die wir besichtigt haben. Alles ist so geschnitten, dass der zur Verfügung stehende Platz außerordentlich effizient genutzt werden kann. Es gibt zum Beispiel viele Stauräume, sogar im Küchenboden. Davon bin ich ein großer Fan.
Vielleicht handelt es sich bei unserer Bleibe um ein Jikko Bukken Gebäude, denn ich kann mir anders nicht den erschwinglichen Preis erklären. Das ist eine Wohnung, in der jemand verstorben ist. Man sagt und liest, dass diese Immobilien schwerer zu vermieten- und daher auch günstiger sind.
Allerdings weiß ich nicht, ob die Leute hier tatsächlich daran glauben oder ob das nicht auch ein überholtes Gerücht sein könnte.
A. und ich haben unseren Hausgeist, für den Fall der Fälle, Yuji genannt. In der ersten Nacht war ich alleine in der Wohnung. Obwohl ich darüber im Vorfeld gescherzt hatte, hab ich hier und da geglaubt, Yuji tatsächlich zu hören. Es stellte sich aber heraus, dass die Wände der Gebäude hier viel dünner gebaut sind, als in Deutschland. Dadurch ist das Leben etwas hellhöriger. Ich nehme also an, die Nachbarn statt Yuji vernommen zu haben;)
Der Geist (also im Sinne von Verstand) ist wirklich ein mächtiger Geselle. Vor allem, wenn man mit viel Fantasie gesegnet wurde.
Zum Thema Willkommenskultur
Ein, für mich persönlich, unangenehmer Aspekt im Zusammenhang mit dem Thema Wohnung ist, dass hier Wohnungen an Nicht- Japaner nicht selbstverständlicherweise vermietet werden. Wir mussten eine ganze Weile lang suchen und waren dabei stark auf eine Immobilienagentur angewiesen.
Bevor wir eingezogen sind wurde aus unerklärlichen Gründen und ohne weitere Erklärung seitens der Agentur der Versuch unternommen, den Mietpreis für unszu erhöhen. Im Austausch mit anderen in einer vergleichbaren Situation hörte ich ähnliche Stories. Und ich sag mal so: sie erwecken den Eindruck, dass kulturelle Vielfalt im Wohnungszusammenhang hier eher skeptisch betrachtet wird. Gaijin ist das Wort. Das heißt „Ausländer“- ein Begriff der hier sehr schamlos und unhinterfragt benutzt wird. Würde man mich Alien nennen, hätte das die gleiche Wirkung auf mich.
Diese Gaijin Politik ist schon ein Thema hier. Für mich und A. jedenfalls. Es ist ein sensibles Thema und ich fühle mich etwas unfrei, darüber zu berichten, weil ich Vieles eben nicht weiß, sondern lediglich beobachten kann. Ich bemühe mach darum- aber kann bei diesem Thema nicht ausschließlich objektiv bleiben- deshalb bitte ich dich auch, das was ich schreibe zu hinterfragen.
Meine persönlichen Erlebnisse sehen so aus: Gleichaltrige sind mir gegenüber sehr freundlich interessiert und offen im Bezug auf (platt gesagt) „Anderssein“. Die „älteren Generationen“ teilweise schon und teilweise nicht. Die Strukturen und das System an sich? Eher nicht.
Diversität hat unzählige Nuancen und Facetten.
Wie sie gelebt wird, hat mit verschiedenen Entwicklungen und kulturellen Aspekten zu tun. Mit Politik, mit Geschichte, individuellen Einstellungen und Menschenbildern und anderen Faktoren.
Ob sie gelebt wird, hängt mit Offenheit, negativer und positiver Diskriminierung, Akzeptanz und vielem mehr zusammen. Dieses Thema interessiert mich brennend und es bewegt mich fast mehr als alles andere. Wie können wir so zusammenleben, dass wir uns gegenseitig unterstützen, entgegenkommen und öffnen dafür, dass wir die Welt aus völlig unterschiedlichen Perspektiven erleben? und da das ein hohes Ideal ist: wie kann man die einzelnen Personen an der richtigen Stelle "abholen"?
Ich möchte hier Erfahrungen sammeln und die Atmosphäre inhalieren, um ein für dich zugängliches Bild von Japan zu skizzieren. Um deine Offenheit zu wecken und mehr Fragen zu stellen. Und auch um eine von vielen Möglichkeiten zu zeigen, wie Diversität und zeitgleich Gemeinsamkeit erlebt werden kann.
Als Denkanstöße habe ich hier noch ein paar offene Fragen für dich:
-Ist die Bescheidenheit ein entscheidender Wert in der Kultur, in der du aufgewachsen bist?
-Welchen Eindruck vermitteln dir die Medien von Japan?
-Glaubst du an Hausgeister? :P
Bald mehr,
Sigi